Es gibt doch tatsächlich geschichtswissenschaftliche Bücher,
die man nicht mit leerem Magen lesen sollte – denn sie machen Appetit. (So wie
man einen Großteil der gegenwärtigen belletristischen Produktion nicht mit vollem
Magen lesen sollte, denn er hat den umgekehrte Effekt.) Als Entscheidungshilfe
für die Wahl des richtigen Mittagstischs kann man Maren Möhrings
Habilitationsschrift über die ausländische Gastronomie dennoch nicht ansehen:
Das Potpourri, das sie für den Leser ausbreitet, ist einfach zu breit gefächert, als dass es
ihm die Wahl erleichterte.
Und neben einer knusprig mediterranen Pizza, einem gepflegt
jugoslawischen Grillteller oder einer süß-sauren Peking-Ente sollte man das
Buch auch nicht lesen; es ist weniger ein kulinarischer Schmöker als vielmehr
eine fundierte Analyse darüber, wie der Deutsche lernte, fremde Speisen zu
goutieren (ohne darüber direkt zum liberalisierten Multikulturalisten zu
werden, wie die durchaus zu teilende Pointe Möhrings sich durch das gesamte
Buch zieht). Die Pasta beim Italiener in Tatgemeinschaft mit süßlichen
Caprifischerklängen und Bella-Roma-Fotografien an den Wänden als Urlaub im
Kleinformat – so stellt sich der Besuch in der Pizzeria zunächst in den
Großstädten, bald aber auch schon in kleineren Städten, ja gar auf Dörfern in
der Bundesrepublik dar. Der gewiefte Kleinunternehmer versteht es, sich diese
zugeschriebene Ethnisierung zu eigen zu machen, und durch Selbst-Ethnisierung
noch zu verstärken – alles, um den Ansprüchen des Gastes gerecht zu werden.
Balkanstuben, Pizzerien und Döner-Imbisse zum Thema einer breit angelegten
historischen Studie zu machen verdient allein schon die Verleihung eines
goldenen Kochlöffels für die Autorin – wenn dies auch noch theoretisch derart
überzeugend und argumentativ derart differenziert erfolgt wie bei Möhring, so
kommen gleich noch ein paar Michelin-Sterne hinzu. Ihrer Grundthese folgend, dass die Verbreitung
ausländischer Gastronomie nur unter Berücksichtigung zweier Phänomene von
Massenmobilität zu beschreiben ist (sowohl des Massentourismus der
westdeutschen Nachkriegsgeschichte als auch der Anwerbung von vor allem
südeuropäischen Arbeitskräften), kann Möhring sich mit ihrer Studie sowohl in
der Migrationsgeschichte der Bundesrepublik – die augenblicklich und endlich
Fahrt aufzunehmen scheint – aufstellen, als auch der Konsumgeschichtsschreibung
interessante Aspekte hinzufügen.
Kulinarische Moden sind der Ausdruck sich verschiebener
Machtverhältnisse, so eine weitere, überzeugend begründete These Möhrings. Und
so waren es zunächst vor allem Studenten und Künstler, die mit (notorisch)
geringem ökonomischen Kapital ausgestattet dafür aber bis zum Zerberstens
angefüllt mit kulturellem Kapital die ausländische Gastronomie für sich
entdeckten und hier eine größtmögliche Distinktion zu allem
deutsch-(gut-)bürgerlichen auszumachen glaubten. Der appetite for change der Gegenkultur hat in Pizzeria und Co. sein
libertäres Habitat gefunden.
In diesem Sinne: Guten
Appetit!
Rezension zu: Maren Möhring, Fremdes Essen. Die Geschichte
der ausländischen Gastronomie in der Bundesrepublik Deutschland, München 2012.