Die Geschichte ist schnell erzählt:
Ein junger deutscher Soldat wird mit seinem – natürlich –
burschikosen Adjutanten bei einer flandrischen Familie einquartiert,
verliebt sich prompt in die junge Blondine des Hauses, was
selbstredend besonders einfach ist, da man ja zuvor feststellen
konnte, dass man „eines Stammes“ (S. 19) ist, es kommt zum Kuss
und dann zur rührenden Abschiedszene, weil Robert Schmidt, genannt
Bob, an die Front zurückmuss.
So weit, so gut, und nicht weiter
besonders. Wahrscheinlich auch nicht sonderlich herausragend für
die Erinnerungskultur an den Ersten Weltkrieg zur Zeit des
Erscheinens (Erstauflage von 1936; meine Auflage – es ist die 9. -
von 1943) dieses kaum fünfzigseitigen Bändchens. Ebenso
betulich-biedermeierlich wie die Geschichte sind auch die
beigegebenen Holzschnitte.
Was auffällt, ist zunächst der
Untertitel: „Eine Novelle aus dem grossen Krieg“. Kann man die
Gattungsbezeichnung „Novelle“ vielleicht noch nachvollziehen,
will der Autor uns doch die Liebe in Zeiten des Krieges als jene
unerhörte Begebenheit verkaufen, derer es dafür bedürfe, so wird
man doch beim zweiten Teil der Beschreibung stutzig. Nicht nur, dass
der Krieg im Grunde eine geringere Rolle spielt, als nahegelegt wird,
bildet er doch nur das Hintergrundrauschen, von dessen Leiden der
Autor bewusst nicht sprechen will („[...] ich will es schlummern
lassen unter der warmen Decke des Heute.“, S. 6), sondern die
Benennung als „großer Krieg“ verwundert denjenigen, der sich mit
der Erinnerungsgeschichte an den Ersten Weltkrieg auskennt: Grande
Guerre und Great War sind Begriffe für den Ersten Weltkrieg aus dem
französischen oder anglophonen Sprachraum; in Deutschland selbst
wird er eher nicht als der Große Krieg erinnert. Dass dies wohl vor
allem an den Schrecken des Zweiten Weltkriegs liegt – eine nicht
allzu gewagte These – verdeutlicht dieses eher unscheinbare
Büchlein, dass, vor 1939 erschienen, mit der Bezeichnung „großer
Krieg“ noch wie selbstverständlich auf die Zeit zwischen 1914 und
1918 rekurrierte.
Was findet sich sonst noch an
interessantem in der Novelle, wo doch die Fabel eher mager ist. Der
mehrfach verbalisierte Wunsch des Vergessens der Kriegsleiden
zugunsten der auch während des Krieges möglichen schönen Stunden
wäre ein interessantes Element. Anders als die pazifistische
Literatur von Remarque, Barbusse etc., die gerade aus der Schilderung
des Leids die moralische Verpflichtung des „Nie wieder!“
ableitete, geht Linker genau den entgegengesetzten Weg: Der Krieg
wird als unausweichliche Katastrophe potraitiert, der Leser erfährt
nicht, dass ausgerechnet Belgien, das Land, in dem sich der
Protagonist so wohl fühlt, wo er – natürlich, dem
biedermeierlichen Anstrich des gesamten Büchleins entsprechend –
Claudius' Mondgedicht zu Gehör bringt und damit seine „Gastgeber“
zu Tränen rührt, im Zuge des Schlieffenplans vom Deutschen Reich
ohne Kriegserklärung angegriffen wurde. Statt dessen erfährt er,
dass auch in einer Welt des Krieges, der nur latent im Hintergrund
bleibt, glückliche Stunden möglich sind und genossen werden können.
Und macht nicht erst diese vorgebliche Möglichkeit zum persönlichen
Glück im großen Krieg den nächsten Krieg überhaupt erst möglich?
Sicher lassen sich so auch die hohen Verkaufsziffern für die Novelle
und die vielen Wiederauflagen – insbesondere nach 1939 –
erklären.
Besprechung zu:
Hans Willi Linker, Spiel in Flandern.Eine Novelle aus dem grossen Kriege, Gütersloh 91943.
Hans Willi Linker, Spiel in Flandern.Eine Novelle aus dem grossen Kriege, Gütersloh 91943.