Dienstag, 16. September 2014

Quo Vadis NS-Forschung: Volksgemeinschaft, Hitlermythos oder doch "fatale Attraktion"?

Thomas Rohkrämer macht mit seinem neuen Buch über die "fatale Attraktion des Nationalsozialismus" eines deutlich - wie man trotz einer wichtigen und interessanten Fragestellung ein Buch schreiben kann, dessen es nicht bedurft hätte. Liegt es daran, dass der Autor mit einer schier nervtötenden Penetranz seine eigene Wortschöpfung immer wieder auftischt, auf dass man sie dann auf jeden Fall bei nächstmöglicher zitieren möge. (Dass sie dazu noch grammatikalisch windschief ist, geht es doch Rohkrämer mehr um "fatale Attraktivität" des Nationalsozialismus und nicht um "Attraktionen", sei nur am Rande bemerkt.); sei es, dass er trotz dieser neuerlichen Begrifflichkeit nichts Neues zu sagen weiß - in jedem Fall fragt man sich schon, ob es dieser gut 330 Textseiten bedurft hätte, welchen Erkenntnisgewinn man bei sich selbst verzeichnen kann und was nun genau Rohkrämers Thesen sind, die die historische Forschung zum Nationalsozialismus voranbringen sollen.

Dieser unbefriedigende Eindruck ergibt sich vor allem daraus, dass Rohkrämer zwar in guter wissenschaftlicher Manier in der Einleitung die Studien und Forschungsrichtungen zum Nationalsozialismus benennt, von denen er sich mit seiner eigenen Arbeit abzusetzen gedenkt - was dann im Hauptteil folgt, ist allerdings nichts anderes als die wenig inspirierte Wiedergabe eben genau dieser Arbeiten (zuweilen noch in nervtötend flapsiger Sprache, in der aus "Villen" "Villas" werden und immerzu "gemeckert" wird, als gäbe es dafür kein weniger umgangssprachliches Wort).

Alys Ansatz sei zu materialistisch, Kershaw beziehe sich zu ausschließlich auf Hitler und den um ihn herum konstruierten Mythos und auch die augenblicklich florierende Volksgemeinschaftsforschung (deren innovatives Potential durchaus auch in vielen Punkten fraglich ist) reicht Rohkrämer ebenfalls nicht - so liest sich jedenfalls seine Einleitung. Und was bekommen wir dann zu lesen? Eine Kurzfassung der Forschungen Kershaws; einen Überblick über die materiellen Versprechen an die "Volksgenossen"; Darstellungen über die freudige Einpassung in die "Volksgemeinschaft", die nicht nur Versprechungen macht, sondern auch Forderungen an den einzelnen stellt. Alles abgeschmeckt mit ein wenig Benjamin und dessen (durchaus überzeugender) These von der "Ästhetisierung der Politik", die im Nationalsozialismus neue Früchte getragen hat. Auch das ist nicht neu, den "schönen Schein" des Nationalsozialismus haben uns schon andere hinter dem dunklen Schleier der Massenverbrechen hervorgeholt.

Um positiv zu schließen, kann man Rohkrämer attestieren, eine flüssig geschriebene Zusammenfassung der Forschungen zum Nationalsozialismus als "Zustimmungsdiktatur" geliefert zu haben - mehr nicht. Dies ist durchaus einen anerkennenswerte Leistung, wenn nicht die Versprechungen in der Einleitung auf mehr hindeuteten. Dass darüber hinaus die Quellenauswahl wenig innovativ ist - von Tagebuchaufzeichnungen über Memoiren bis hin zu den Abhörprotokollen, die von Neitzel und Welzer analysiert wurden, alles nur immer wieder zitiertes und bekanntes Material -, fügt sich ins insgesamt wenig überzeugende Gesamtbild.

Rezension zu: Thomas Rohkrämer, Die fatale Attraktion des Nationalsozialismus. Über die Popularität eines Unrechtsregimes, Paderborn 2013.

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